Barclay
Scott Fields, der amerikanische Wahl-Kölner, E-Gitarrist, interessanteste „Sprachmaler” unter den Granden in Free Jazz, Creative Music und Freier Improvisation und Stammgast auf diesen Seiten, legt nach „Beckett“ 2006 und „Samuel“ 2009 den Schlussteil seines Samuel Beckett-Triptychons vor, der wohl faszinierendsten in moderne Musik gebrachten Hommage an den irischen Theaterautor, Lyriker und Meister einer präzisen, lakonisch-minimalistischen Bühnensprache. Auch „Barclay” (nach dessen middle name) ist Quartett, wieder mit Scott Roller, clo, und Matthias Schubert, ts; für John Hollenbach ist jetzt auch Dominik Mahnig auf Fields’ „innovativem Weg zum word painting” und als Perkussionist für die Realisierung dieses Projekts naturgemäß unentbehrlich: Fields hat aus „Krapp's Last Tape” (1958, 28 min), dem BBC3-Fernseh- spiel „... But the Clouds ...” (1977, 16 min) und dem Einakter „Catastro- phe” (1982, 18 min) die rhythmischen Gehalte der Sprache des Autors zur Grundlage der Stücke gemacht, auf der das Quartett mal frei, mal nach Notat und allemal fes- selnd agiert. Das Kardinalthema Becketts bleibt die Vergänglichkeit. So hört der alte Krapp ein Tonband seines Lebens ab. Und das but the clouds des Titels entstammt dem melancholischen Yeats-Gedicht „The Tower”. In „Krapp“ durchmisst das Quartett sämtliche Aggregat- zustände der Seele. Was hier, strikt instrumental, abläuft, ist Kopfkino und Tonfilm, Bildermusik wie aus Joyces „Finnegans Wake”. Das Vier- Personen- (und -Bühnen-)Stück „Clouds” wird zur höchst faszinierend bespielten Arena für die Gruppe, ein Vexierspiel erlebter und nachgespielter „Katastrophe“ mit dem Sax als dem Regisseur, dem Cello als dessen Assistenten und der Gitarre als dem Bühnenarbeiter, denen allen gegen Schluss sogar der noch vom Quartett gespielte Zuschauerapplaus gilt... Fields’ Ensemble macht Abstraktes konkret, weil die Form diese Musik zu jeder Sekunde vor Halt-Losigkeit bewahrt, der Rhythmus der Sprache, die Rhythmen der Handlung. In dieser Würdigung zeigt Becketts Werk just die Gewissheit, die es selbst nie enthalten hatte. Das soll den vieren erst- mal einer nachmachen. — Jazz Podium
Minuet Minarets
Es gibt Neues von Scott Fields, dem WahlKölner aus Chicago, der 1995 und (dank der Reissue) nochmals 2010 mit seinem „Fugu“ — Ensemble so eindrucksvoll demonstriert hatte, wie schön improvisierte (Gitarren-)Musik sein kann, wenn sie ohne handwerkliche Brechstange gespielt wird. Und dann war es vom größeren Ensemble zum Duo für Scott nur noch ein kleiner, eigentlich logischer Schritt. Dialog, meint er, sei schließlich die ergiebigste Kommunikationsform. Nun also sein Duo mit dem Tenoristen Matthias Schubert, und wieder der Eindruck, dass es einem niemand leichter macht als Scott Fields und sein Partner, den Verhau an stilistischen Pseudo-Kennungen, Labels, Rubrizierungen, Kategorisierungen und Ein- oder Zuordnungen ganz schnell zu vergessen oder einfach für obsolet zu erklären.
Was Scott an der Gitarre und sein musikalischer Gesprächs-Partner am Sax hier in ihren sieben Zwiegesprächen zustandebringen, ist nichts weniger als der wieder wunderbar gelungene Versuch, von semantisch greifbaren Tete-a-tetes alles an semantisch Greifbarem zu subtrahieren. Übrig bleiben der dialogische Gestus und ein außerordentlich üppiger Strauß an Emotionen. Im letzten Stück, „GidgetWidget Wacker“ wird sogar noch ein Stück weiter reduziert und sich konzentriert auf das nur noch wirklich Unentbehrliche: das Geräusch jenseits aller herkömmlicher Stimmlichkeit. Das ist musikalisch ob seiner Schönheit mal bewegend, mal spaßig, mal verblüffend. Und es ist einfach beeindruckend, was der Wille zum authentischen Zwiegespräch jenseits oder diesseits der Sprache der Wörter hervorzubringen vermag. Und wie sich Archetypisches, Vorzeitliches ins Heute einpasst, als wäre es schon immer mit dabei gewesen. Und das war’s ja auch. — Jazz Podium
Fugu
Er war etwas über 20, als er sich erst mal für 15 Jahre aus dem Musikgeschäft zurückzog. Dann war er wieder da, 1993/94, und nahm 1995 „Fugu“ auf, auf seinem eigenen, nur kurze Zeit aktiven Avantgarde-label Geode. Er hat klassische und Jazzgitarre gespielt, und dass „Fugu“ nun wieder veröffentlicht wurde, ist ein Segen. Scott Fields spielt hier ausschließlich Nylonstring, und mit im Team sind der Cellist Matt Turner, Perkussionist Geoff Brady, John Padden am großen Bass und Robert Stright am Vibraphon. Und was dieses Quintett aufführt, lässt hellauf jauchzen. Dies ist kammermusikalisch improvisierte Musik vom Allerfeinsten, subtil, eher sanft, eher pastell als grell, eher wohltemperiert als aggressiv, nicht anarchisch, nicht provo, sondern von überraschender Eingängigkeit, ohne je ins Gefällige abzutauchen. Die Themen notierte Scott; die werden gespielt, und dann geht es, vier wiinderbar lange Stücke lang, immer tiefer hinein ins freie Spiel der Kräfte. Ursprünglich waren einige dieser Stücke für einen chinesischen Tänzer und Choreographen geschrieben worden; aufgeführt wurden sie nie, schon gar nicht „The plagiarist“, das einzige Stück in 4/4. Das sollte laut Partitur 300 Schläge p/m schnell gespielt werden, ein Affenzahn, den nicht mal ein chinesischer Tänzer bewältigen kann. Also spielt das Ensemble es etwas langsamer, d.h. immer noch sehr schnell. Der „Plagiarist“ ist das Herz des Albums, und was in ihm einzeln und kollektiv und in den anderen Stücken abläuft, ist einfach eine Offenbarung, die den Zugang zum Thema improvisierter Musik außerordentlich erleichtern kann. Bevorzugt werden weite Klangareale, die sich indes sehr wohl verdichten können zu hochdramatischen Cluster-Happenings. Aber diese Musik — „Poem for Joseph“, „The Big Mango“, „A carrot is a carrot“ wie das abschließende Titelstück — bleibt immer voller szenischer Überschaubarkeit und bei aller improvisatorischen Freizügigkeit immer zusammen gehalten von einer Disziplin, die man eher von modern klassisch spielenden Ensembles kennt. Man fühlt sich ein wenig erinnert an die 2009er Kooperative „Kiss the guitar player“ des holländischen Klimt!-Streichquartetts mit einigen Gitarristen. Aber das spielte sich noch diesseits der ganz, ganz großen Freiheit ab.
Hier schlägt schon mal die höchst reizvolle Besetzung mit Kontrabass, Cello und Vibes Brücken zum Jazz. „Fugu“, das Stück, steht dafür beispielhaft. Und macht von A bis Z klar, dass das, was hier geschieht, wirklich nichts zu tun hat mit Barock-JazzKlischees, Third Stream ˆ la MJQ oder Brubeckschen Experimenten mit verrückten Metren und Riesenorchestern. Man kann es ganz einfach sagen: Reizvoller, schöner, verzaubernder wurde man noch nie mitgenommen auf die Mitte der Brücke, die moderne Klassik und zeitgenössischen Jazz miteinander verbindet. Und leichter ist es noch nie gefallen, die Suche nach einem passenden Gattungsbegriff ganz einfach zu vergessen. — Jazz Podium
OZZO/Moersbow and Frail Lumber
Gleich zwei Alben von dem faszinierendsten Meisterartist auf dem Hochseil zwischen zwischen Free Jazz und Neuer (Kammer-)Musik, dem in Köln lebenden Chicagoer Scott Fields. Für das erste Album, 2009 live im Kölner Loft aufgezeichnet, hat er die Gitarre zuhause gelassen. Als Komponist dirigiert er ein 24-Köpfe-Ensemble mit vielen Blech-, wenigen Holzbläsern, mit Violine, Viola, Bass, Akkordeon und drei Herren an Analog- und Digitalcomputern, von denen man kaum was merkt, eine Hommage an den japanischen Elektronik-Doyen Merzbow als Meister des Leisen und ein vierteiliges Werk. Wer über die Titel der Werke und den Orchesternamen Verwirrung verspürt, wird in Scotts Liner Notes stimmungsfördernd aufgeklärt. „Moersbow“ macht sich die Tugenden des Japaners zueigen, was Scott nie schwer fällt, wie er seit. „Fugu“ (2010) oder den „Minaret Minuets“ mit dem Tenoristen Matthias Schubert beweist. Und so wird „Moersbow“ im Wesentlichen auch zum wunderbaren abstrakten Klanggemälde mit Haarlinien, winzigen Farbfeldern und subtilen Schattierungen. Die vier „OZZO“ -Sätze sind etwas lebhafter, polyrhythmischer mit Pizzicati, viel Flageolett und einer Menge oft einfach spannendem Interplay. OZZO 2 und 3 zeugen von der instrumentalen Kunst des kreativen Durcheinanderbrabbelns ohne je zu brüllen; OZZO 4 handelt von der Kunst des freien Diskurses oder Wie man Sinnlosigkeit zu sinnhaftigkeit machen kann, ohne Freiheiten einzuschränken.
„Frail Lumber“ stellt das neueste Scott Fields Ensemble vor, nun mit gleich zwei E-Gitarren (die andere spielt Elliott Sharp), Daniel Levin und Scott Roller, cello, Axel Lindner und Mary Oliver, v, und Jessica Pavone und Vincent Royer, viola, und zwar in fünf Stücken, von denen vier zwischen 15 und 19 Minuten lang bzw. lang ausfallen. „Ziricote“ dürfte ähnlich entstanden sein wie die Stücke damals auf „Fugu“, mit notierten Vorgaben, über die zunehmend freier improvisiert wird. Auch hier wieder fasziniert, dass man bei Fields immer den Eindruck hat, es mit sehr wohl konstruierten „Formen“ des Abstrahierens zu tun hat. Das wird im zentralen Werk „Paulownia“ besonders gut erkennbar, in dem eine Gitarre und dann ein gezupftes Cello zeitweilig für laufbassähnliche Linien sorgen, die in ihrer rhythmischen Beständigkeit den Zusammenhalt des Ensembles sichern. Das ist keine Konzession, sondern das entspricht ziemlich genau dem Ort, an dem Scott Fields sich offenkundig am wohlsten fühlt und auch, als Komponist wie als Musiker, am besten ist: wenn er den Kreis schließt, in dem freier Jazz und moderne Kammermusik eins werden. Er ist halt der mild maniac unserer Tage. Immer Poet, nie Anarchist. — Jazz Podium
everything is in the instructions
Als in diversen Rezensionen bekennender Bewunderer des Komponisten, Gitarristen und Wahl-Kölners aus Chicago behauptet yours truly: Das musste ja so kommen. Und dass es so gekommen ist, ist ein Segen: Scott
Fields’ hinreißend schönes musikalisches Tete-a-tete mit dem in New York lebenden Komponisten, Flötisten und Shakuhachi-Spieler Jeffrey Lependorf. Mit ihren Zen-Seelen sind die zwei wie füreinander geschaffen. Seit 1964, als Tony Scott seine „Zen Meditation“ -LP vorlegte und die Jazzwelt zu völlig neuer Besinnung brachte, mag man Hosan Yamamotos Shakuhachi, die klassische japanische Bambusflöte, assoziiert haben. Fortan wird man bei „Shakuhachi“ auch (oder nur noch) an Jeffrey Lependorf denken, notabene den, der mit Scott Fields im Duo eine unendlich schöne Platte gemacht hat, eben diese, deren Titel an eine Episode aus Lependorfs Lehrjahren bei John Cage anspielt.
Damals also Koto, heute Gitarre. Ob er wie 2010 im Duo mit dem Tenoristen Matthias Schubert die „Minaret Minuets“ aufnahm oder ein Jahr später das 24-köpfige Multiple Joyce Orchestra dirigierte — es macht keinen Unterschied: Scott Fields ist unter den wenigen Gitarristen/Komponisten von Rang der poetischste, reinste, sensibelste Schöpfer musikalisch feinster Pinselstriche, dessen Musik immer erinnert an die makellose, sinnstiftende Schönheit chinesischer Ideogramme. Seine musikalische Poetik ist der des sinojapanischen Kulturraums so nah, dass das Get-Together mit Lependorf einfach stattfinden musste. Scott ist ein Gary Snyder der Musik.
Überraschend hier ist. dass es neben den fünf Fields- und zwei Lependorf-Stücken ein „Naima“ gibt, das mehr noch als die eigenen Stücke wie „Objects in relation to other objects“ oder, Zentrum des Albums, „The politics of solitude“ verdeutlicht, wie Scott musikästhetisch „tickt“. Coltrane wird nicht verbogen, nicht verhitscht. nicht verbalhornt; er wird gewissermaßen werktreu übertragen, auf die sanfte, behutsame, kluge, die schönste Seite der zeitgenössischen Avantgarde. Für sie steht Scott Fields. Und Jeffrey Lependorf. Garanten für ein Album, das man sein Leben lang nicht mehr vergisst. — Jazz Podium
Kintsugi
„Feartet”? Viertett? Quartett! Scott Fields, der in Köln lebende Meisterkomponist und Gitarrist im kunterbunten Nowhere Land zwischen freier und kollektiver Improvisation und zeitgenössischer, ergo Neuer Kammermusik, spielt mit Titeln seiner, hm, was nun, Kompositionen wie mit Tönen und Klängen. Aber keine Sorge, zum Fürchten gibt’s vom Feartett gar nichts, jedenfalls wenn man den Starttitle „Sexual Perversity in Chicago” (sic!) „dutch” hat, das hochdramatische Entree zu „Kintsugi”. 1995/2010 Scotts „Fugu”. 2011 die „Minaret Minuets” mit Matthias Schubert und 2012 das Großoeuvre von „Moersbow” und „OZZO”, alle hier besprochen, nein: bejubelt, und nun drei Streicher und ein Zupfer, Elisabeth Fügemann, Cello, Axel Lindner, Violine und Vincent Royer, Viola, alles hochdekorierte Musici, immun gegen alles Blendwerk. Wie Scott. Dessen Musikauffassung betört ungebrochen. Er ist ein Faszinosum, und diese Musik ist es auch. „A future congressman” ist wesentlich freundlicher als der Sumpf in der Windy City. Kaum noch Tutti-Kakophonie, viel spontan Dialogisches, subtil alles, ein Vergnügen in Pastellfarben mit ein paar kräftigeren Tupfern. „The tragedy of Spade Cooley” assoziiert frei über Leben und Tod des einstigen Musikstars (mit Stern in Hollywoods Walk of Fame) und eifersuchtsgeschüttelten Mörders seiner Frau, die was mit Roy Rogers gehabt soll, als veritables Dramolett, als spannende Kurz-Bio und damit partout nix für Improvisations-Novizen, die auch in „That’s my puggle” stranden würden. Weil: Wer macht schon Neue Musik über einen Hund?? — Tja, und zum Schluss das Opus Magnum, 20 Minuten „Snail Fight”. Schneckenflug, Schneckenflucht — in jedem Fall sowas wie ein innerer Widerspruch, der qua Improvisation aufgelöst wird. Das ist Scott Fields par excellence, wirklich ein Jackson Pollock des kammermusikalischen Action Paintings. Ein Meister des feinen Strichs, ein König. Und sein Feartet ist ein ganzes Königreich. — Jazz Podium